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Erforschung der Galaxienhaufen


Bereits im Jahr 1921, als man noch gar nicht wußte das Galaxien überhaupt andere Milchstraßensysteme sind, trug der schwedische Astronom Carl Wilhelm Ludwig Charlier über 11.000 Objekte aus dem New General Catalogue von John Dreyer in eine Karte des Himmels ein und stellte fest, dass die Objekte vollkommen ungleichmäßig verteilt sind.

In den 30er Jahren lichtete Edwin Hubble auf dem Mount Wilson einen großen Teil des Himmels auf Fotoplatten ab. Er fand auf seinen Aufnahmen über 44.000 Galaxien. Dabei fiel ihm auf, dass im Bereich des Milchstraßenbandes kaum Galaxien zu sehen waren. Er folgerte sehr richtig daraus, dass im Bereich der Milchstraße Gas- und Staubmassen die Sicht auf ferne Galaxien behindern. Weiterhin fiel ihm auf, dass die Galaxien nicht gleichmäßig am Himmel verteilt sind, sondern in Form von Ansammlungen auftreten.


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Der Galaxienhaufen Abell 2065
macht deutlich, wie viele Galaxienhaufen auf dem POSS aussehen: Ansammlungen nahezu winziger und teilweise nur schwach erkennbarer Nebelfleckchen (hier nahe der Bildmitte zu sehen)
Ausschnitt aus dem POSS (30 x 30′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Im Jahre 1958 machte sich George Abell an die Arbeit, die Fotoplatten des neuen Palomar Sky Atlas (POSS) - die den gesamten nördlichen Sternenhimmel umfassen - nach Galaxienhaufen zu durchsuchen. Diese katalogisierte er in seinen berühmten Abell-Katalog der Galaxienhaufen. Insgesamt 2.712 Galaxienhaufen fand er. Später wurde auch der südliche Sternenhimmel komplett auf Fotoplatten erfaßt und der Abell-Katalog auf den südlichen Sternenhimmel erweitert. Heute enthält der Abell-Katalog 4.076 Galaxienhaufen.


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Beim Galaxienhaufen Abell 1831
wird die wahre Natur schon deutlicher!
Ausschnitt aus dem POSS (30 x 30′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Abell war aber nicht der einzige - auch Fritz Zwicky durchsuchte zwischen 1962 und 1974 den POSS nach Galaxien und Galaxienhaufen. Insgesamt konnte er 9.134 Galaxienhaufen auf den Fotoplatten identifizieren! Auch er trug diese in einem Katalog zusammen. Dabei wurde auch hier nur der nördliche Sternenhimmel erfaßt. Zählt man aber all die winzigen Fleckchen der Galaxien in den Galaxienhaufen mit, dann hat Zwicky wohl über 1,5 Millionen Galaxien auf den POSS-Fotoplatten gefunden!! Und das nur am nördlichen Himmel....

Abell und Zwicky katalogisierten die Galaxienhaufen nicht nur, sondern erforschten sie auch. Sie wollten mehr über diese faszinierenden Objekte erfahren - die Grundsteine zum Aufbau des Universums. Ihnen verdanken wir die Kataloge und zum größten Teil das, was wir heute über Galaxienhaufen wissen.

Galaxienhaufen sind reizvolle Studienobjekte. Der Haufen selbst wird durch die Anziehungskraft der in ihm enthaltenen Galaxien zusammengehalten. Der Galaxienhaufen wird also nicht durch die Expansion des Universums auseinandergerissen. Die Galaxien eines Haufens bewegen sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt, ähnlich wie die Planeten um die Sonne laufen.


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Der Galaxienhaufen Abell 1060
Im Zentrum (nahe der Bildmitte) erkennt man zwei große elliptische Galaxien: NGC 3311 und NGC 3309
Ausschnitt aus dem POSS (60 x 60′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Weiterhin gibt es deutliche Unterschiede in der Form und den auftretenden Galaxienarten der Haufen. Sehr auffällig ist, das im Zentrum eines Galaxienhaufens häufig eine riesige elliptische Galaxie liegt. George Abell hat zwei Typen von Galaxienhaufen klassifziert:

  • Regular: Kugelförmige Galaxienhaufen mit einer hohen Dichte im Zentrum.
  • Irregular: Unregelmäßige Galaxienhaufen mit einer geringen Dichte im Zentrum.

Kugelförmige Galaxienhaufen vom Typ "regular" enthalten meist nur elliptische und S0 Galaxien (Spiralgalaxien ohne Scheiben) und sind recht dicht besiedelt mit einer deutlichen Konzentration zum Haufenzentrum hin. Das beste Beispiel dafür ist der bekannte Comahaufen (Abell 1656) im Sternbild Haar der Berenike.

Unregelmäßig geformte Galaxienhaufen vom Typ "irregular" zeigen keine deutliche Konzentration der Galaxien zum Haufenzentrum hin. Die äußeren Bereiche dieser Haufen bestehen überwiegend aus Spiralgalaxien, während im zentralen Teil elliptische und S0 Galaxien vorherrschen. Auch sind diese Haufen wesentlich lockerer besetzt, was den Abstand der einzelnen Galaxien angeht. Ein Beispiel dafür ist der Galaxienhaufen Abell 2151 im Sternbild Herkules.

Alan Dressler unersuchte genauer, welche Galaxientypen in einzelnen Haufenregionen unterschiedlicher Galaxiendichte vorkommen. Er schrieb dazu ein Computerprogramm welches darstellte, wie häufig verschiedene Galaxientypen bei bestimmten Galaxiendichten in einem Haufen vorkommen. Die Ergebnisse waren eindeutig. Der erste Punkt stellt eine geringe Galaxiendichte dar mit einer Galaxie in einem Würfel mit einer Kantenlänge von 3 Millionen Lichtjahren. In einer so dünn besiedelten Gegend sind etwa 80 Prozent aller Galaxien Spiralgalaxien, 10 Prozent elliptische Galaxien und weitere 10 Prozent S0 Galaxien.

Bei einer dichteren Umgebung von 10 Galaxien in einem Würfel mit einer Kantenlänge von 3 Millionen Lichtjahren sinkt der Anteil der Spiralgalaxien auf etwa 50 Prozent ab. Bei 100 Galaxien im gleichen Würfel auf beträgt der Anteil der Spiralgalaxien nur noch 20 Prozent und bei noch höheren Dichten fast Null. Gleichzeitig steigt bei höherer Galaxiendichte zuerst der Anteil der S0 Galaxien an, bei sehr hohen Dichten, wo die Galaxien nur noch durch das ein- oder zweifache ihres Durchmessers voneinander getrennt sind, beträgt der Anteil von S0 Galaxien und elliptischen Galaxien je 45 Prozent. Diese Morphologie-Dichte Beziehung wurde manchmal auch als Dressler-Effekt bezeichnet.

Wie sind diese Unterschiede zu erklären? Röntgenbeobachtungen haben gezeigt, dass Galaxienhaufen von dünnen und heißen Gas erfüllt sind. Die Dichte des Gases ist im Zentrumsbereich eines Galaxienhaufens am größten. Wegen der stärkeren Schwerkraft bewegen sich die Galaxien in den dichter besiedelten kugelförmigen Haufen und in den zentralen Bereich der Haufen schneller. Bewegt sich nun eine Spiralgalaxie durch das Gas, so ist sie einer gewissen Strömung ausgesetzt. Berechnungen haben gezeigt, dass diese Strömung ausreicht, um die Gasmassen aus der Scheibe einer Spiralgalaxie hinauszutreiben.

Außerdem besteht in einem dicht besiedelten Haufen sowie in den Haufenzentren eine höhere Wahrscheinlichkeit für Kollisionen und Wechselwirkungen zwischen einzelnen Galaxien. So haben die Spiralgalaxien im Laufe der Zeit ihr Gas und die Spiralarme verloren und es sind nur noch ihre Kerne übrig geblieben, die wir heute als S0 Systeme sehen.


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Der Galaxienhaufen Abell 1656 (Comahaufen)
ist das Lehrbuchbeispiel für einen kugelförmigen und dichten Galaxienhaufen
Ausschnitt aus dem POSS (60 x 60′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Irreguläre Galaxienhaufen sind dagegen lockerer besetzt und der Abstand der einzelnen Galaxien untereinander ist größer. Auch gibt es keine so deutliche Konzentration der Galaxien zum Haufenzentrum. Die einzelnen Galaxien bewegen sich hier wegen der geringeren Schwerkraft langsamer und durch ihre größeren Abstände untereinander kommt es nur selten zu Kollisionen oder Wechselwirkungen. Dadurch konnten die meisten Spiralgalaxien besonders in den äußeren Bereichen der Haufen ihre Gestalt erhalten.

In den Zentren der irregulären Galaxienhaufen beobachtet man aber auch oft elliptische und S0 Galaxien. Letztere haben ihr Gas und damit ihre Spiralarme wohl auf die gleiche Art verloren, wie oben beschrieben.


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Der Galaxienhaufen Abell 2151 im Sternbild Herkules
ist ein gutes Beispiel für einen irregulären Galaxienhaufen
Ausschnitt aus dem POSS (30 x 30′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Die elliptischen Riesengalaxien in den Zentren besonders der kugelförmigen Galaxienhaufen sind wahrhaft gewaltig. Sie können Durchmesser von 3 Millionen Lichtjahren erreichen (das ist mehr als der Abstand zwischen unserem Milchstraßensystem und der Andromedagalaxie!) und aus Trillionen von Sternen bestehen! Aber wie können sich in den Haufenzentren solche Riesen befinden und bilden?


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Im Zentrum des Galaxienhaufens Abell 1656 (Comahaufen)
befinden sich zwei elliptische Riesengalaxien:
NGC 4889 etwas links und NGC 4874 etwas rechts der Bildmitte
Ausschnitt aus dem POSS (30 x 30′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Die meisten Astronomen beantworten diese Frage mit dem Kannibalismus. Im Zentrum eines Galaxienhaufens ist der Abstand zwischen den Galaxien geringer. Folglich können sich die Galaxien gegenseitig stärker beeinflussen oder miteinander wechselwirken. Dabei passiert es häufig, dass eine Galaxie von ihren Nachbarn Materie zu sich herüberzieht. Durch diesen Materiezuwachs wird die Galaxie dann größer und massereicher. Durch solche Aktionen können vorhandene Spiralgalaxien einen Teil der Materie ihrer Scheiben verlieren, wobei der massive Galaxienkern zurückbleibt (das ist dann eine Galaxie vom Typ S0). Die Lebenserwartung von Spiralgalaxien nahe eines Haufenzentrums scheint nicht sonderlich hoch zu sein.

Auch ist die Gefahr von Kollisionen zwischen Galaxien im Zentrum eines Galaxienhaufens deutlich höher als in den dünner besiedelten äußeren Bereichen. Wenn zwei Galaxien sich zu nahe kommen, umkreisen sie sich zuerst auf immer engeren Umlaufbahnen, bis sie irgendwann miteinander verschmelzen. Aus dem Verschmelzungsprodukt entsteht dann eine große Galaxie. Durch weitere Kollisionen wird diese Galaxie immer größer und massereicher - bis sie schließlich als größte Galaxie das Zentrum des Galaxienhaufens beherrscht. So kann die Entstehung dieser elliptischen Riesengalaxien aussehen. Und dafür gibt es weitere Hinweise.


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Die elliptische Riesengalaxie M 87
steht im Zentrum des großen Virgohaufens
Ausschnitt aus dem POSS (20 x 20′)
Quelle: Digitized Sky Survey


Die Untersuchung elliptischer Riesengalaxien hat ergeben, das einige von ihnen mehrteilige Kerne besitzen, was auf Verschmelzung mit anderen Galaxien hindeutet. Merkwürdig ist auch das Vorhandensein von viel Gas und Staub - sogar scheibenförmige Strukturen hat man in ihnen gefunden. Elliptische Galaxien besitzen normal nur sehr wenig Gas und Staub - dieser ist fast ausschließlich in den Scheiben von Spiralgalaxien zu finden. Auch das ist ein deutlicher Hinweis auf Kannibalismus - das Gas und die scheibenförmigen Strukturen im Innern großer elliptischer Galaxien können von "aufgegessenen" Spiralgalaxien stammen.

Ich habe mir in den Jahren 2002 bis 2004 alle von Abell katalogisierten Galaxienhaufen als Ausschnitte aus dem POSS heruntergeladen. Die meisten Haufen sehen allerding wenig beeindruckend aus - es sind Ansammlungen winziger Fleckchen zwischen den Sternen - machmal kaum noch zu erkennen. Das liegt allerdings an den riesigen Entfernungen, in der diese Haufen stehen. Wenn man sich klar macht das viele Haufen hunderte von Millionen bis einige Milliarden Lichtjahre (!!) entfernt sind und das jeder dieser winzigen Fleckchen in Wirklichkeit eine ganze Galaxie ist, dann tut sich hier doch eine völlig neue Dimension auf! Allerdings gibt es auch einige Haufen, die auf dem POSS sehr imposant aussehen und auch Galaxienformen deutlich erkennen lassen.

Allerdings sind die über 9.100 Galaxienhaufen, die von Abell und Zwicky auf den Fotoplatten des POSS entdeckt wurden, noch lange nicht das Ende. Sie haben Galaxienhaufen bis in einigen Milliarden Lichtjahren Entfernung erfaßt. Da die Größe des sichtbaren Universums heute mit etwa 14 Milliarden Lichtjahren angegeben wird, gibt es natürlich noch fernere Galaxienhaufen! Diese sind jedoch immer schwieriger aufzufinden, weil sie sich nur noch schwach vom Vordergrund der näher liegenden bzw. dem Hintergrund ferneren Galaxien abheben.

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